Angus West e.V.

Verein für Angus-Züchter und -Halter

Bewertung von Fleischrindern

Johannes Hibbeln
(Quellen: Gertrud Werner LWK RP, Dr. Josef Dissen LWK NRW/FHB)

Die Tierbeurteilung oder Exterieurbewertung ist für viele Tierhalter eine überflüssige Angelegenheit. Züchter lassen ihre Tiere oft nur bewerten  weil der Zuchtverband dies vorschreibt.

Die Tierbeurteilung ist aber ein wertvolles Instrument zur Selektion und liefert über die reine Bewertung hinaus Hinweise für die weitere Verwendung und  Zuchttauglichkeit.

Die Bewertung von Tieren sollte nicht nur eine Aufgabe des Herdbuchzüchters sein. Zucht – und im Grunde genommen ist jeder Mutterkuhhalter ein Züchter – kann sich nicht auf statistische Angaben beschränken. Ein „gutes Auge“ und Passion sind notwendig zur Zucht und damit Voraussetzung für die Wirtschaftlichkeit des Betriebes. Und das ist nicht zwangsläufig an den Status des Herdbuchbestandes gebunden.

Der Begriff der Tierbeurteilung meint zwar in der Regel die Bewertung von Zuchttieren nach Herdbuchvorgaben. Sie kann allerdings auch umfassender definiert werden und eine allgemeine Einschätzung des Tieres nach gesundheitlichen und funktionalen Aspekten beinhalten. Darüber hinaus ist aus der Sicht des Herdenmanagements die so genannte Bewertung der Körperkondition nicht zu vernachlässigen.

 

Zweck der Tierbeurteilung

Jeder Tierhalter sollte sich mit der Tierbeurteilung beschäftigen, wenn er wirtschaftlich produzieren will.

Dabei wird man das Exterieur eines Rindes  – egal welcher Rasse –  zunächst einmal vor allem unter dem Aspekt der Funktionalität sehen. Im Grunde genommen geht es darum, Tiere mit Formfehlern oder unerwünschten Eigenschaften von der Reproduktion auszuschließen. Dieses Anliegen hat jeder Betriebsleiter.

Natürlich gibt es in diesem Punkt auch unterschiedliche Meinungen was z. B. ein Formfehler ist. Der ganz normale Rinderhalter denkt hier an Missbildungen oder Skelettmängel, die oft die Zulassung zur Zucht erst gar nicht ermöglichen. Wer mit Tieren in Reinzucht arbeitet – egal ob Herdbuch oder nicht – will sich natürlich am Zuchtziel der Rasse orientieren. Dann gehören z. B. auch fehlerhafte Pigmentierungen zu den Formfehlern.

Formfehler wirken sich über kurz oder lang leistungs- bzw. wertmindernd aus, sie können sowohl genetisch- als auch umweltbedingt sein.

Die Konditionsbeurteilung ist vor allem aus der Sicht der Herdenführung wichtig. Gesunde und fruchtbare Tiere sowie Kälber und Absetzer die sich optimal entwickeln bedingen den wirtschaftlichen Erfolg des Betriebes in besonderem Maße.

 

Optimale Voraussetzungen schaffen

Die Tierbeurteilung ist ein Selektionskriterium und soll dem Betriebsleiter eine Entscheidungshilfe bieten. Damit das gewährleistet wird, muss sie möglichst objektiv erfolgen, d. h. man muss zu vergleichbaren Ergebnissen kommen. Das ist der Sinn einer solchen Maßnahme und Grundlage jeder Exterieurbeurteilung. Diese Objektivität oder Vergleichbarkeit erreicht man umso besser, je mehr bestimmte Voraussetzungen gegeben sind und die „persönlichen“ Angaben des zu bewertenden Tieres vorliegen.

  • die Bewertung sollte möglichst bei Tageslicht erfolgen, weil Fehler so am besten zu erkennen sind

  • das Tier sollte auf ebener Fläche sowohl im Stand als auch in der Bewegung zu sehen sein

  • der Bewerter sollte sich möglichst auf vergleichbarer Höhe zum Tier befinden die Klauen müssen vollständig zu sehen sein

  • das Alter des Tieres muss bekannt sein, es steht in direkter Beziehung zu Größe und Entwicklung

  • das Laktationsstadium und die Bemuskelung stehen in der Regel ebenso in einem Zusammenhang wie

  • die Leistung (= der Absetzer!) und die Bemuskelung

  • zu beachten sind auch die Umweltbedingungen (das angebotene Futter und Wasser, die vorhandenen Liegeflächen, die Bekämpfung von Parasiten, etc.)

  • es sollte möglichst die gleiche Person die Bewertung vornehmen

 

Bewertung nach allgemeinen Kriterien

Für eine allgemeine Einschätzung des Tieres stehen die Merkmale für Gesundheit und Fitness im Vordergrund:

  • glänzendes Haarkleid (nicht struppig, stumpf, verdreckt)

  • aufmerksame, klare, glänzende Augen

  • aufrechte Kopfhaltung

  • sicherer Gang

  • rege Fresslust

  • gleichmäßige, ruhige Atmung

 

Zeigt sich eine Kuh in diesen Merkmalen beeinträchtigt oder angeschlagen, wird die Bewertung des Tieres eher negativ ausfallen. Aber auch die Leistungsnachweise müssen bekannt sein. Dazu gehören:

  • Ergebnisse der Wiegungen

  • die Zahl der Kalbungen

  • die Zwischenkalbezeit

  • die Aufzuchtleistung

  • der Zeitpunkt der Laktation in dem die Kuh sich befindet

  • das Aussehen des Kalbes bei Fuß

  • die Kondition des Tieres

Ohne diese Informationen kann die Bewertung nicht realistisch sein.

Bei der allgemeinen Bewertung einer Kuh wird man neben den gesundheitlichen Aspekten besonderen Wert auf die Funktionalität legen. Besonders heraus zu stellen sind hier das Euter und das Skelett, aber auch das Temperament oder die Umgänglichkeit des Tieres sind Funktionen, die einen Anspruch zu erfüllen haben.

Ist das Euter hoch genug aufgehangen, sind die Viertel gleichmäßig verteilt? Sind Beistriche vorhanden? Wie bewegt sich die Kuh? Ist die Beinstellung parallel wie gewünscht? Sind die Klauen geschlossen, die Sprunggelenke trocken? Es gehören aber auch Becken- und Brustbreite und natürlich die Beckenlage zum Körperbau dazu. Ob das Temperament einer Kuh oder eines Bullen akzeptabel ist oder nicht wird womöglich unterschiedlich gesehen. Dass man mit ruhigen Tieren besser arbeiten kann muss aber auch an dieser Stelle nicht ausführlich erörtert werden.

Aus funktionaler und züchterischer Sicht führt jeder Mutterkuhhalter eine erste Selektion automatisch beim Abetzen der Kälber durch. Wohl dem, der hier nicht alle Tiere halten muss, sondern aussortieren kann was nicht seinen Vorstellungen entspricht. Verschiedene Aspekte werden bei der Selektion eine Rolle spielen wie z. B. die Leistung der Mutter oder das Temperament des Tieres, aber auch funktionale Mängel. Gut ist es dann, wenn man diese Mängel erkennt und sich den späteren Ärger über eine Unzulänglichkeit ersparen kann. Unter Berücksichtigung der Marktlage macht es im Übrigen durchaus Sinn, bei guten Absetzerpreisen nicht alle Tiere zur Zucht aufzuziehen.

 

Bewertung nach Herdbuchvorgaben

Die ewertung von Herdbuchtieren der Fleischrinderrassen erfolgt z. B. in Deutschland in den Merkmalen Typ, Bemuskelung und Skelett. Dabei verwendet man eine Skala von 1 bis 9 bei der die Note 1 die schlechteste und die 9 die beste Bewertung darstellt.

Der Rahmen des Tieres wird mit g für groß, m für mittel und k für klein beschrieben, wobei der Rahmen innerhalb einer Rasse verglichen wird und nicht zwischen den Rassen. D. h. innerhalb jeder Rasse gibt es großrahmige, mittelrahmige und kleinrahmige Tiere. Die Einstufung des Rahmens wird der Benotung von Typ, Bemuskelung und Skelett nachgestellt.

 

Typ

Um die Beurteilung von Typ oder Form durchführen zu können, ist das vorgestellte Tier mit dem Idealbild (Idealtier) zu vergleichen, d.h. man muss das rassebedingte Zuchtziel kennen. Das Zuchtziel beschreibt die äußere Erscheinung aber auch die Nutzungsrichtung einer Rasse.

In der Typnote wird vor allem der Rassetyp bewertet. Neben der Fellfarbe oder Pigmentierung z. B. der Schleimhäute, Maul- und Augenringe sind hier gegebenenfalls auch die Form des Felles – kurz oder lang, glatt oder gewellt – oder die Behornung bzw. genetische Hornlosigkeit anzusprechen.

Rassetypisch sind aber auch die Ausprägung von Knochen, Haut oder Kopf. So ist z. B. ein feiner Knochenbau bei den Rassen Angus, Blonde d’Aquitaine, Limousin oder Piemonteser gewünscht, schwerere Knochen, die zum Körperbau passen – aber auch nicht zu derb sind -, bei Charolais und Fleckvieh. Die sehr feine Haut und die verhältnismäßig „kleinen“ resp. leichten Köpfe werden wiederum bei Angus und Piemontesern besonders herausgestellt.

Bei der Benotung wird die Entwicklung des Tieres in Abhängigkeit vom Alter berücksichtigt und auch, ob das Tier einen weiblichen oder einen „bulligen“ Ausdruck hat und ob die Euterform mit Strichverteilung und Strichlänge funktional sind.

 

Bemuskelung

Die Bewertung der Bemuskelung soll zum Ausdruck bringen, wie die im Zuchtziel formulierten und zu beachtenden fleischtragenden Partien ausgeprägt sind und dem Idealbild nahe kommen. Bewertet werden im Grundsatz die Bemuskelung von Schulter, Rücken und Keule, wobei Breite und Länge der Muskulatur in diesen Körperteilen für die Benotung herangezogen werden. Rassebedingte Schwerpunkte spielen zudem eine Rolle. Eine besonders ausgeprägte Rücken- und Lendenmuskulatur bei Limousin und die sehr plastische Bemuskelung des ganzen Körpers bei Piemontesern – die durch die feine Haut unterstützt wird – sollen  hier nur als Beispiele angeführt werden.

Bei Kühen wird das Kalb bei Fuß bei der Bemuskelungsnote berücksichtigt.

 

Skelett

Die Note für das Skelett beinhaltet die Korrektheit des Körperbaus insgesamt. Bewertet werden dabei verschiedene Merkmale:

  • die Beinstellung vorne und hinten: eine parallele Beinstellung ist zu bevorzugen d. h. Klauenspitzen zeigen nach vorne;

  • die Klarheit der Gelenke: vor allem die Sprunggelenke hinten sollten „trocken“ sein, h. es sind keine wie auch immer gearteten Beulen am Sprunggelenk festzustellen;

  • die Form der Klauen: Klauen sollten in der Regel geschlossen sein und über genügend Trachtenhöhe verfügen

  • die Beckenlänge, -breite und Beckenlage: ein langes, breites und geneigtes Becken unterstützt den Kalbevorgang und bietet die beste Grundlage für eine ausgeprägte Keulenmuskulatur

Ein korrektes Skelett ist für die Bewegung (Fress- und Liegeverhalten) und auch für die Reproduktion (Kalbung, Regeneration) maßgeblich.

 

Bewertung der Körperkondition (gehört nicht zur offiziellen Tierbeurteilung

Die Konditionsbeurteilung (Body Condition Scoring) ist sowohl in der Milchkuh- als auch in Mutterkuhhaltung ein anerkanntes Hilfsmittel zur Überwachung der Gesundheit und Leistung. Sie hat das Ziel, die Körperreserven des Tieres in Abhängigkeit vom Laktationsstadium einzuschätzen, um gegebenenfalls die Fütterung anpassen zu können. Vor allem um eine hohe Herdenfruchtbarkeit und die Entwicklung der Kälber sicherzustellen, sollte die Konditionsbeurteilung auch im Mutterkuhbestand ein fester Bestandteil des Herdenmanagements sein.

BCS umfasst bei Mutterkühen die Bewertung von vier Körperpartien.

  1. Dornfortsätze der Lendenwirbel

  2. Übergang von Querfortsätzen zur Hungergrube (rechts)

  3. Bereich zwischen den Hüfthöckern

  4. Beckenausgangsgrube

Es werden die Noten 1 bis 5 vergeben mit folgender Bedeutung:

Note 1  =  hochgradig abgemagert, Tier ohne fühlbare Fettauflage mit enormen Problemen.

Note 2  =  abgemagert, Dornfortsätze einzeln sichtbar, Übergang zur Hungergrube deutlich eingezogen, Bereich zwischen den Hüfthöckern stark eingesunken, Knochen um die eingeschnittene Höhle der Beckenausgangsgrube treten hervor.

Note 3  =  Optimum, Dornfortsätze verschwinden in einer glatten Rückenlinie, Übergang zur Hungergrube kaum eingezogen, Bereich zwischen den Hüfthöckern kaum eingesunken, Beckenausgangsgrube ist mit Fett gefüllt.

Note 4  =  gut im Futter, Dornfortsätze nicht erkennbar, sie verschwinden in einer ebenen Fläche, Übergang zur Hungergrube ist nicht eingezogen, Bereich zwischen den Hüfthöckern ist eben, Beckenausgang leicht hervorgewölbt, eine leicht gefüllte Schwanzfalte ist zu erkennen.

Note 5  =  hochgradig verfettet, Dornfortsätze verschwinden im Rückenfett, Übergang zur Hungergrube ist vorgewölbt, Bereich zwischen den Hüfthöckern ist aufgewölbt, am Schwanzansatz sind Fettwülste deutlich sichtbar.

In der Mutterkuhhaltung werden folgende Konditionswerte als wünschenswert angestrebt:

Trockenstehphase:
Optimum von 3,5; Spannbreite von 3,25 – 3,75,

Säugeperiode:
Im 1. Drittel  ein Optimum von 3,0;  Spannbreite von 2,75 bis 3,25, bis zum Absetzen ansteigend auf ein Optimum von 3,25; Spannbreite 3,0 bis 3,5;

Die Konditionsbeurteilung sollte man in regelmäßigen Abständen im Jahresverlauf durchführen, damit die Entwicklung der Tiere in der Trockenstehphase und während der Säugeperiode erfasst werden können. Auch die tragenden Rinder sind bei der Bewertung zu berücksichtigen.

 

Zu guter Letzt – heißt es üben:

Eine Tierbeurteilung im eigenen Bestand kann jeder Rinderhalter durchführen. Die dafür erforderliche Zeit ist niemals verschwendet. Man wird sich damit nicht jeden Monat beschäftigen, aber es macht Sinn feste Zeiträume dafür vorzusehen.

Tierbeurteilung ist Bestandteil der Ausbildung in den landwirtschaftlichen Berufen. Übungen dazu sollten bei den Fortbildungsveranstaltungen angeboten werden.